01.07.2012

Wer kann mir helfen?

In seinem Artikel zum Thema "Sehnsucht nach einem Neuanfang" schreibt Diplom-Psychologe und Psychotherapeut Matthias Hipler: "Häufig stellen wir uns unseren verletzten Gefühlen der Kindheit erst dann, wenn der Leidensdruck hoch genug ist." Das ist leider tatsächlich so. Wer sich die Frage stellt, wie Gott dieses oder jenes Leid nur zulassen kann, muss sich auch fragen, ob Gott uns manchmal nicht schon allein deshalb in Krisen geraten lassen muss, damit wir eine Chance bekommen, tiefer liegende Wunden oder offenes Fehlverhalten aufzudecken und dadurch eine Heilung einzuleiten. "Gott beginnt an uns zu wirken, wenn wir uns ihm öffnen", so lautet eine bekannte Regel. Doch Gott handelt nicht ohne uns an uns! Deshalb kommt es immer darauf an, dass wir soweit kommen, unsere Probleme beim Namen zu nennen. Dazu gehört, dass wir ehrlich werden zu uns selbst und anderen – und zu Gott. Erst dann finden wir oft auch den Zugang zur Lösung des Problems.

"Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind."
Albert Einstein (1879 - 1955) Physiker, Nobelpreisträger

Es gibt aber noch einen anderen Weg, um mit neuem Elan und neuer Freude im Leben vorwärtszukommen oder auf tiefer sitzende Probleme aufmerksam zu werden. Es muss nicht immer der schmerzvolle Weg in die Krise sein, der uns dabei hilft, uns aufrüttelt und uns zu einer tieferen Erkenntnis führt. Der christliche Glauben empfiehlt Menschen schon seit Jahrtausenden diesen Weg in die Stille; es ist ein Weg, den jeder gehen kann und der genauso zum Erfolg führt. In seinem Buch "The 7 Habits of Highly Effective People" (Die 7 Angewohnheiten leistungsfähiger Menschen) nennt Stephen Covey als siebte Angewohnheit "die Säge schärfen" und erzählt dazu die Geschichte eines Mannes, der durch den Wald spaziert und das Geräusch einer Säge hört. Er geht dem Geräusch nach und entdeckt einen Mann, der schweißgebadet versucht, einen Baum abzusägen. "Was machen Sie?", fragt er den Mann. "Ich säge diesen Baum ab."
"Das sehe ich; doch ich sehe auch, dass Sie sich dabei sehr anstrengen. Wie lange machen Sie das schon?"
"Zwei Stunden."
"Und warum nehmen Sie sich nicht die Zeit, Ihre Säge zu schärfen? Dann geht es vielleicht schneller und leichter."
"Dafür habe ich keine Zeit – ich muss diesen Baum fällen!"

Der Mann hatte keine Zeit, seine Säge zu schärfen. Aber er hatte Zeit, mit einer ungeschärften Säge zu arbeiten. Geht es uns nicht auch immer wieder so? Wir haben Zeit für alles Mögliche und auch Unmögliche. Doch vielleicht müssten wir uns vor allem anderen die Zeit dafür nehmen, unsere "Säge zu schärfen". Im Wesentlichen heißt das: Eine Pause einlegen, sich selbst Gelegenheit geben, in einer stillen Zeit Kraft zu tanken, sich immer wieder auf die wesentlichen Dinge des Lebens besinnen. Beten, mit Gott sprechen. Kurzum, Erneuerung erfahren auf allen vier Ebenen des Lebens: der körperlichen, der geistigen, der emotionalen und der geistlichen Ebene. Im Alten Testament der Bibel gibt es eine Stelle, in der es heißt: "Wenn die Axt stumpf geworden ist, weil ihr Benutzer sie nicht geschliffen hat, muss er sich doppelt anstrengen. Der Kluge hält sein Werkzeug in Ordnung." (Prediger 10, 10) Es gibt aber noch weitere Möglichkeiten, seine "Säge zu schärfen": Eine zusätzliche Ausbildung vielleicht. Mehr Wissen über die großen Zusammenhänge. Vielleicht auch nur mehr Gelassenheit. Hilfreiche christliche Bücher. "Etwas zu tun, ohne die nötige Ausbildung oder Gerätschaft dafür zu haben, ist wie mit einer stumpfen Axt zu arbeiten." schreibt Stephen Covey.

"Die Vergangenheit soll ein Sprungbrett sein, kein Sofa."
Maurice Harold Macmillan, 1. Earl of Stockton (1894 - 1986), britischer Premier­minister von 1957 - 1963

"Ich habe keine Zeit", sagen wir oft, wenn wir danach gefragt werden. Doch sehr oft ist das Ergebnis geringer, wenn wir noch härter und schneller arbeiten, bis wir physisch, emotional, geistig und geistlich ausgelaugt sind, anstatt eine Pause einzulegen und anschließend mit doppeltem Elan weiterzumachen. Stille Zeit vor Gott, eine Pause, ein Urlaub oder auch eine Fastenzeit können neue Energie in uns wecken, alte Schaffensfreude wiederherstellen, den Geist erneuern und Ausgeglichenheit schaffen. Es gibt Menschen, die glauben, dass Gott andauernde Aktivität verlangen würde, doch in der Bibel ist viel von Zeit für Gott, Ausruhen und Einklang mit ihm die Rede. Im Schöpfungsbericht heißt es sogar von Gott selbst: "Am siebten Tag hatte Gott sein Werk vollendet und ruhte von seiner Arbeit aus." (1. Mose 2, 2) Jeder von uns hat sicher schon mal von dem einen der 10 Gebote gehört, wo es heißt: "Achte den Sabbat als einen Tag, der mir allein geweiht ist!" (2. Mose 20, 8) Dieses Gebot ist nicht als Einschränkung gedacht, sondern zu unserer Hilfe. Dazu erklärte Jesus: "Der Sabbat wurde für den Menschen geschaffen und nicht der Mensch für den Sabbat." (Markus 2, 27) Ausruhen ist aus der Sicht Gottes, unseres himmlischen Vaters, nicht nur gut – es ist notwendig für ein erfülltes, fruchtbares Leben. In den Berichten über Jesu Zeit auf dieser Erde sehen wir ihn oft, wie er sich zurückzog, um in der Stille mit seinem Vater im Himmel zu sprechen, zu fasten oder sich auch nur auszuruhen, um – im Bild gesprochen – die "Säge zu schärfen". Im 1. Brief des Apostels Petrus lesen wir: " Christus hat für euch gelitten, und er hat euch ein Beispiel gegeben, dem ihr folgen sollt." Ja, auch Ausruhen kann manchmal ein Weg sein, "dem Beispiel Jesu zu folgen". Bleibt die Frage: "Wie scharf ist Ihre Säge?"

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