01.11.2009

Der Weg in die Stille

Prof. Dr. med. Samuel Pfeiffer, Chefarzt der christlichen psychiatrischen Klinik Sonnenhalde in Riehen bei Basel, ist in seinem Beruf sehr oft mit Menschen konfrontiert, die nicht mehr weiter wissen. Er kennt das Phänomen des Burnout sehr gut. In einer seiner vielen Schriften zum Thema schreibt er: Wer beruflich und privat sehr unter Druck steht, gerät leicht in Angst und Panik. Manchmal reicht dann eine Grippe, die in eine längere Erschöpfung mit permanenter Übermüdung führt. Ein solcher innerer Niedergang äußert sich dann auch emotional. Plötzlich ist so ein Mensch nicht mehr belastbar, gereizt und sogar den Tränen nah. Menschen am Rande eines Nervenzusammen-bruchs verlieren oft auch die Fähigkeit, ihre Aufgaben zu planen und Schritt für Schritt anzugehen.

Volkskrankheit Burnout

Laut Statistik leidet heute bereits jeder vierte unter dem Burnout-Syndrom. Solche Menschen fühlen sich in Beruf und Privatleben körperlich und emotional oft so erschöpft, dass sie einen Zusammenbruch insgeheim herbeisehnen. Ihr Leben ist meist so geprägt von Hektik und Stress, dass pausenloses Telefonieren zum Alltag gehört. Für gesellige Anlässe bleibt meist keine Zeit und in Ehe und Familie halten Burnout-gefährdete Menschen mit Vertröstungen alles von sich fern. Doch dann kommt es plötzlich zu einem vielleicht harmlosen Sturz oder einem anderen Missgeschick mit Folgen und was sich vielleicht schon lange angestaut hatte, bricht sich Bahn. Eine tiefe Erschöpfung macht sich breit und der Zusammenbruch ist nicht mehr aufzuhalten.

Work-Life-Balance

Eine solche Entwicklung tritt klarerweise umso rascher ein, wenn der Druck am Arbeitsplatz wächst, oder Unzufriedenheit den Alltag prägt. Konflikte in der Familie wie auch in der Ehe können einen Zusammenbruch ebenso begünstigen. Vielfach stimmt die Ausgewogenheit zwischen Beruf und Privat­leben ja ohnedies schon lange vorher nicht mehr. Vor allem in Zeiten zunehmender Angst um den Arbeitsplatz und höheren Anforderungen gerät die sogenannte Work-Life-Balance leicht aus dem Gleichgewicht. Dazu tun sich immer mehr Menschen schwer, Job, Familie, Freunde, Glauben und ihre persönlichen Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen.

Doch muss das alles sein?

Nein, schreibt Prof. Dr. Pfeiffer, das muss nicht so sein. Wenn wir nur rechtzeitig zu Strategien greifen, die uns vor diesen Negativ-Entwicklungen schützen. Denn eines müssen wir wissen: Jeder Mensch verfügt nur über eine begrenzte Energie, mit der er sein Leben gestalten kann. Dazu gehört sein persönliches Umfeld, seine Interessen und sein Glauben wie auch sein Beruf und seine Familie. Wenn aber der seelische Akku leer ist was dann?

Der Weg in die Stille

Dann gibt es den bewährten Weg in die Stille, den Menschen zu allen Zeiten gingen und den auch viele Tausende jedes Jahr erneut gehen. Ja, man könnte sagen, dass es inzwischen bereits so viele geworden sind, dass wir von einem wahren Trend sprechen können. Ob in den Ruhe-Oasen der Well-nessangebote oder auf einer einsamen Wanderung auf dem Jakobsweg, ob in den zu Erholungszentren ausgebauten christlichen Klöstern oder dem dafür eingerichteten Haus der Stille; immer mehr Menschen erkennen, wie wichtig Stille in unserem Leben ist. Christen aller Jahrhunderte wussten schon von diesem Wert der Stille. In der Stille, im Gebet und in der Versenkung können wir neue Kräfte tanken. Warum praktizieren wir es nur so wenig und warten, bis wir entkräftet einem Zusammenbruch entgegengehen? Kennen wir den christlichen Weg nicht mehr?

Der Weg

Wenn es still wird, so schreibt Dr. Christian Brenner, Generalsekretär des Bibellesebundes und einer der Initiatoren von Jahr der Stille 2010, wirds gefährlich. Diesen Grundsatz finden wir in der Natur. Wenn sich ein Raubtier auf die Jagd begibt, verstummt sein potentielles Opfer und versteckt sich. Tiere verhalten sich in Momenten der Gefahr still und lauschen aufmerksam. Erst wenn die Gefahr vorüber ist, rühren sie sich wieder. Im Alltag des 21. Jahrhunderts wird Stille von vielen Menschen ebenso als Bedrohung empfunden, weshalb viele sie auch ganz einfach meiden und nur wenige sie suchen. Tatsächlich unterbricht Stille auf eine ganz eigenartige Weise unser Leben. Deshalb kommt sie auch nur selten zustande, solange wir ihr nicht aktiv den nötigen Raum verschaffen. Dennoch braucht es diese Zeit z. B. bei Pausen, im Urlaub, am Sonntag, an stillen Tagen oder in der bewusst eingeplaten täglichen stillen Zeit.

Die Stille und die Bibel

In der Bibel ist das noch einmal anders. Da gehört Stille zwar auch zum täglichen Leben. Denn wer könnte von sich behaupten, dass er ein gesundes Leben als Christ führen kann, ohne täglich vor Gott stille zu werden. Ohne Momente und Zeiten der Stille vor Gott, ist kein wirkliches Christsein möglich. Wenn in der Bibel jedoch von  Stille die Rede ist, geht es meist um eine noch tiefere Dimension und Bedeutung des Wortes Stille.

Denn in der Stille begegnet uns Gott.

Diese Sehnsucht nach der Begegnung mit Gott trieb alle biblischen Persönlichkeiten in die Stille. Das sehen wir bei Mose wie auch bei dem Propheten Elia oder bei König David. Sie alle trieb es in die Stille, wo sie zu Gott beteten, doch nicht nur, um vor ihm ihre Gedanken auszusprechen, sondern auch und vor allem, um auf Gott zu hören und von ihm her Entscheidungen zu erwarten. Siehe dazu Psalm 5, 4. In der Stille und im Gebet erhielten biblische Persönlichkeiten ihre Berufung, erlebten Herausforderungen, gewannen Klarheit, Mut und fanden zu tiefer Dankbarkeit. Ziele, Visionen und Perspektiven; all das erhielten diese Menschen in der Stille. Jesus selbst suchte zu Beginn sei-nes Wirkens die Stille und das Gebet. Davon lesen wir im 1. Kapitel des Markusevangeliums in Vers 35.  Aber auch später nahm er sich immer wieder die Freiheit, sich trotz wartender Menschenmassen zurückzuziehen, um zu beten und in der Stille Gott zu begegnen (vgl. Lukas 5, 16). Und auch unmittelbar vor seinem Tod und der Auferstehung lesen wir davon, dass er in einer Zeit der Stille und des Gebets im Garten Getsemane Antworten auf seine Fragen suchte und sie auch fand. (Lukas 22, 3944) Der Weg in die Stille ist kein leichter. Vielen Christen fällt es heute schon schwer, zur Ruhe zu kommen und in den Raum der Stille einzutreten. Doch gerade bei ihnen zeigt sich, welch reiches und vor allem hochaktuelles Angebot die christ­liche Tradition anzubieten hat. Stille jedenfalls gehört zum Christsein wie das sprichwörtliche Amen zum Gebet und in der Stille liegt die Kraft. Christen müssen deshalb auch wieder zurückfinden zu ihren Wurzeln und Gebet und Stille wieder suchen und vor allem pflegen. Körper, Seele und Geist in regelmäßigen Abständen zu entspannen, noch bevor es zu belastenden Stress-Symptomen kommt, ist nämlich genau das, was wir heute brauchen. Die aus Spanien stammende, berühmt gewordene Karmelitin Teresa von Ávila (1515-1582) drückte es treffend so aus: Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen. Viele leiden heute darunter, dass sie ihr Alltagstempo nicht mehr zu drosseln imstande sind; auch wenn sie es wollten und Zeit dafür hätten. Dass ein solcher Dauerstress oft erst in einer Erkrankung zum Stillstand kommt, ist leider oft der Fall, kündigt sich aber meist schon lange vorher an. Sehr oft sind es Schlafstörungen, Nervosität, Verspannungen und ständiges Schwitzen, was wir als Symptome wahrnehmen. Gedanken wie Ich kann nicht mehr beginnen sich im Kopf zu drehen. Wenn solche Gedanken auftauchen, ist das Verhältnis zwischen Arbeit und Erholung bereits stark gestört. Leider ist es ab diesem Moment oft auch schon zu spät, sich zu einer normalen Erholung zu entschließen.

Wellness für Körper, Seele und Geist

Denn in solchen Fällen geht es schon nicht mehr nur um das körperliche Regenerieren. Wem es so ergeht, der muss oft tatsächlich erst wieder geistig und seelisch aufleben. Das jedoch geht dann meist nicht mehr so leicht. Manchmal braucht es dafür zuerst einmal genügend Bewegung, gesunde Ernährung, stimmige Beziehungen und gute geistige Nahrung. Wie gut haben es deshalb Menschen, die schon lange vorher in ihren Tagesablauf Gebet und Zeiten der Stille integriert haben und daher auch viel leichter den heutigen Herausforderungen gewachsen sind. Denn ob gestresste Manager oder überlastete Mütter, viele sehnen sich nach Ruhe für Körper und Seele.

Das Jahr der Stille 2010

Wohl auch deshalb wurde das kommende Jahr 2010 zum Jahr der Stille ausgerufen, in dem verstärkt Stille-Wochenenden in Klöstern angeboten werden, die vielerorts jedoch schon heute eine ungewöhnliche Nachfrage erleben. Nicht nur unser Körper braucht Erholung, auch unsere Seele ist auf Zeiten der Stille angewiesen, sagt der Dozent und psychologische Berater Jens Kaldewey und erinnert an einfache, alte christliche Übungen, die uns den Weg zu neuer Kraft weisen können und ein erfülltes Leben ermöglichen. Ole Hallesby, der bedeutende norwegische Christ und bahnbrechende Prediger, sagte einmal: Ein mit Friede erfülltes, sieghaftes und frohes Christen­leben wird nur dem zuteil, der das Geheimnis der täglichen Erneuerung gelernt hat: sich unaufhörlich an Gott zu wenden, um neue, frische Kraft aus seiner ewigen Welt zu empfangen. In seinem Buch Vom Beten, das in einer Auflage von 500.000 Exemplaren verkauft wurde, heißt es: Die vielen und verschiedenen Aufforderungen der Bibel zum Beten werfen in ihrer Gesamtheit ein besonderes Licht auf das Gebet. Sie zeigen uns, dass das Beten der Pulsschlag im Leben des erlösten Menschen ist. Beten sollte in der Tat das Mittel sein, wodurch wir unablässig alles, dessen wir bedürfen, erhalten. Es sollte unsere tägliche Zuflucht, unser täglicher Trost, unsere tägliche Freude, unseres Lebens reiche und unerschöpfliche Glücksquelle sein. Probieren Sie es aus. Sie werden sehen, es ist so.

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