01.02.2020

„Ich weiß, welches Bett im Bunker für mich bestimmt ist ...“

Was hat Dein Interesse an Israel geweckt?

Es war schon in meiner Kindheit und Jugend da, aber so genau erinnere ich mich gar nicht mehr daran, was der Auslöser war. Vielleicht meine Oma, die immer eine besondere Begeisterung für Israel hatte. Aber ich glaube noch mehr war es die Tatsache, dass ich wusste, dass Israel das Land ist, in dem sich die ganzen biblischen Geschichten abgespielt haben – und das hat eben etwas besonderes, etwas faszinierendes.

Schabbat, koscher und Pessach..., die jüdische Kultur hat viele Besonderheiten. Welche jüdischen Traditionen hast Du bereits miterlebt?

Ich habe alle jüdischen Feste schon mehrfach miterlebt und mitgefeiert, in einer koscheren Küche habe ich über ein Jahr lang mitgekocht. Dabei kommt es darauf an, dass alle Speisevorschriften der jüdischen Religion eingehalten werden, z. B. darf nichts milchiges mit fleischigem zusammenkommen. Die jüdische Kultur erlebt man täglich, wenn man im Land unterwegs ist – ich liebe es z. B., die Leute zu beobachten, die so verschieden sind und irgendwie in ihrer Art doch etwas gemeinsames, etwas besonderes haben. Beeindruckend finde ich an der Kultur, neben den israelischen Volkstänzen, die Art und Weise, wie hier der Schabbat gefeiert wird und mit welcher Wertschätzung die Menschen hier Woche für Woche darauf warten.

Was bedeutet es, in Israel zu leben?

In Israel zu leben bedeutet, alles ein bisschen entspannter zu sehen, z.B. auf den Ämtern und an der Supermarktkasse. Es bedeutet, auf den Straßen mehr zu hupen – nicht unbedingt, weil man sich ärgert, sondern auch mal einfach so zur Ermutigung. Dann heißt es, mehr mit Menschen ins Gespräch zu kommen, als ich das von Deutschland kenne, wo man auf der Straße oder im Zug kaum mal jemanden anspricht oder von jemanden angesprochen wird. Es bedeutet, über eine gewaltige Vielfalt zu staunen, was Natur und Leute betrifft, über unzählige Gegensätze und Widersprüche den Kopf zu schütteln und zu erkennen, dass es ein Wunder ist, dass es dieses Land überhaupt gibt, dass es heute noch existiert und Tag für Tag funktioniert – irgendwie.

Worin besteht die größte Herausforderung, in Israel zu leben?

Ich liebe dieses Land, die Leute und auch die Sprache, fühle mich wohl und mag die Art, wie die Israelis das Leben nehmen und leben. Allerdings braucht man manchmal echt gute Nerven und viel Geduld und Gelassenheit, wenn die Lieferanten oder Beamten einfach nicht so arbeiten, wie man das als Europäer eben kennt und erwartet – wobei ich da inzwischen schon ziemlich entspannt geworden bin. Am schwierigsten finde ich das Heimweh oder besser gesagt die Tatsache, dass meine Familie und langjährige Freunde so weit weg sind und ich mir hier doch irgendwie allein vorkomme.

In den europäischen Medien hört man immer wieder Beunruhigendes über die politische Lage in Israel und den „Nahost-Konflikt“, insbesondere in diesen Tagen. Betreffen Dich diese Themen in Deinem alltäglichen Leben oder doch nicht?

Wenn man hier lebt, ist es ganz normal, auf den Straßen Soldaten mit ihren Waffen zu sehen, beim Betreten von öffentlichen Gebäuden erstmal den Sicherheitsmann zu grüßen, der kurz in die Tasche gucken will, oder morgens zu erfahren, dass in der Nacht wieder Raketen geflogen sind. Auch wenn ich sagen würde, dass ich keine Angst habe, macht es natürlich was mit dir, wenn du hörst, dass die Sicherheitslage erneut angespannt ist und du dich innerlich und äußerlich darauf vorbereitest, dass etwas passieren könnte. Ich weiß, welches Bett im Bunker für mich bestimmt ist und hab dort eine Tasche mit Kleidung, meinen Stricksachen und einem Stapel Bücher hinterlegt.

Welchen Ort in Israel sollte man Deiner Meinung nach unbedingt gesehen haben?

Auf jeden Fall Jerusalem, die Hauptstadt des Landes Israel. Dann natürlich auch die Wüste, das Tote Meer, den Mittelmeerstrand und die Korallenriffe mit den bunten Fischen im Roten Meer. Sehr schön sind natürlich auch der See Genezareth und die galiläischen Berge, der Golan und ein Blick auf die weiße Schneespitze des Hermon.

Ein Jahr in Israel hast Du nun hinter Dir – was war Dein beeindruckendstes Erlebnis in diesen 12 Monaten?

Das ist schwer zu sagen. Es ist so viel passiert in diesem Jahr. Was mich sehr bewegt, ist, aus dem Mund von Holocaustüberlebenden ein „Ich hab Dich lieb!“ zu hören, wenn sie mir als junge Deutsche ein Lächeln schenken und ich ehrliches Interesse von diesen alten, tief traumatisierten Menschen erfahre, mit denen ich gern Zeit verbringe und die ich unglaublich lieb gewonnen habe.

Wie kam es dazu, dass Du heute in Israel lebst?

Das ist eine lange Geschichte. In Kürze würde ich sagen, dass entscheidend war, dass ich schon mit 15 angefangen habe in meiner Freizeit Hebräisch zu lernen. Wie ich damals darauf kam, kann ich gar nicht so genau sagen, aber irgendwie hat mich diese Sprache so fasziniert, dass ich über die Jahre hinweg, drangeblieben bin. Gegen Ende meines Lehramtsstudiums habe ich mich verstärkt gefragt, warum mir Gott diese Ausdauer und ständig so unglaublich gute Möglichkeiten und Gelingen gibt, in Deutschland neben meinem eigentlichen Studium völlig ohne konkretes Ziel auf so ein gutes Sprachlevel zu kommen. In dieser Zeit kam der Leiter der Israel-Organisation „Zedakah“, mit der ich nach dem Abitur schon einmal ein Jahr als Freiwillige in Nordisrael im Einsatz war, mit der Frage auf mich zu, ob ich bereit wäre, als Langzeit-Mitarbeiterin in Israel zu arbeiten. Sie suchten dringend jemanden, der sowohl Deutsch als auch Hebräisch spricht und keine Angst vor Zahlen hat. Für mich war klar, dass das der Platz war, auf den Gott mich ohne mein Wissen über Jahre vorbereitet hat und deshalb bin ich jetzt hier.

Was sind Deine Aufgaben bei „Zedakah“?

„Zedakah“ ist eine Organisation von deutschen, gläubigen Christen, denen es auf dem Herzen liegt, Holocaustüberlebenden in Israel ihre Liebe zu zeigen und ihnen Gutes zu tun. Ich arbeite hier als Volontärin im Büro des Altenpflegeheims Beth Elieser in Ma‘alot (Galiläa) und bin vor allem für die Buchführung und alles Mögliche andere an Papierkram und organisatorischen Aufgaben zuständig. Fast alle Mitarbeiter hier sind Freiwillige aus Deutschland. Wir haben ein sehr familiäres Miteinander und verbringen auch neben unserer Arbeit viel Zeit mit den Heimbewohnern, die alle Holocaustüberlebende sind.

Wie reagieren die Holocaust-Überlebenden auf die deutschen Mitarbeiter?

Natürlich ist da anfangs viel Skepsis – und auch wenn sie uns schon ein wenig kennen, kommen schon allein durch das Hören der deutschen Sprache immer wieder alte traumatische Erinnerungen hoch, die zu unerwarteten und manchmal harten Reaktionen oder Worten führen. Aber wir können genauso oft nur darüber staunen, wie viel Dankbarkeit und Liebe wir von diesen Menschen zurückbekommen und wie sie zutiefst gerührt sind, wenn sie hören und sehen, dass es auch Deutsche gibt, die sie und ihr Land ehrlich lieben.

Es gibt ja nur noch wenige Menschen, die Zeitzeugen der Shoa und des Nationalsozialismus sind und noch leben. Welche Perspektiven gibt es, dass die Ereignisse dieser Zeit nicht in Vergessenheit geraten? Tut „Zedakah“ etwas konkret in diese Richtung?

Da gibt es einiges an Projekten, die vor allem über unsere Zentrale in Deutschland laufen. Wir laden Holocaustüberlebende ein, die bei öffentlichen Veranstaltungen oder vor Schulklassen von ihrem Leben erzählen. In Kooperation mit dem Projekt „Papierblatt“ werden Zeitzeugenberichte gesammelt, die als „Archiv gegen das Vergessen“ und als Material für die Thematisierung im Schulunterricht dienen sollen – auch dann noch, wenn die erste Generation ausgestorben sein wird. Ganz neu in Planung ist jetzt ein Medien- und Bildungsraum auf dem Gelände des Gästehauses Bethel in Maisenbach (Schwarzwald) mit dem Ziel, ein Verständnis für das Judentum zu schaffen, an den Holocaust zu erinnern und vor Antisemitismus zu warnen.

Dieses Interview führte Marie. Als ERF sagen wir Danke für das Gespräch!

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